Stadt leben

Städtische Lebensformen gab es im römischen Kaiserreich fast ebenso viele wie Provinzen und unterschiedliche Arten von Städten. Was die Bewohner traditionsreicher griechischer Metropolen, alter italischer Hügelsiedlungen oder aber neugegründeter Koloniestädte in den nördlichen Provinzen aus römischer Sicht einte, war jedoch ihre Zuordnung zu bestimmten, reichsübergreifend vergleichbaren, sich aber gegenseitig weitgehend ausschließenden Rechtskategorien.

Der Althistoriker Geza Alföldy hat auf diesen Überlegungen fußend den Aufbau der römischen Gesellschaft in Form einer Pyramide gefasst: Sie weist eine deutliche horizontale Abgrenzung der im Verhältnis zahlenmäßig signifikant kleineren Oberschichten von allen übrigen Bevölkerungsschichten auf. Dabei war die Zugehörigkeit zu den Oberschichten an Faktoren wie Grundbesitz, Reichtum oder politische Einflussmöglichkeiten gebunden, die der großen Mehrheit der Unterschichten nur in Ausnahmefällen zugänglich waren.

Zusätzlich zu den sich in Senatoren- und Ritterstand unterteilenden Eliten, die – ökonomisch weitgehend autark und eine vergleichsweise große Mobilität aufweisend – auf Reichsebene in hohen zivilen und militärischen Ämtern tätig waren, müssen zu den sogenannten honestiores auch die Angehörigen städtischer Führungsschichten gezählt werden. Deren Aktionsradius als Ratsmitglieder (Dekurionen) auch auf überregionaler Ebene hing von der Bedeutung und Privilegierung ihrer Gemeinwesen ab, war in Großstädten oder coloniae also grundsätzlich weitreichender. Beispielsweise wäre eine Magistratur in einer der Provinzhauptstädte mit dem Zensus von nur 20.000 Sesterzen, der für die Stadträte einiger Munizipien in der Provinz Africa bezeugt ist, nicht annähernd zu bestreiten gewesen.

In ähnlicher Weise hingen die Lebensart und die soziale Mobilität der städtischen Unterschichten von den Rahmenbedingungen ab, welche die jeweilige Stadt ihnen bot. Eine verkehrsgünstige Lage innerhalb einer agrarisch oder an Bodenschätzen reichen Landschaft gewährte zahlreichen Freigeborenen wie Freigelassenen mitunter vielfältige Beschäftigungsmöglichkeiten in Gewerbe und Handel. Ebenso konnten militärische Bedeutung, politische Traditionen oder die Nähe überregional genutzter Kultstätten den Stadtbewohnern auch aus den unteren Schichten Gelegenheit bieten, sich als Spezialisten in Garnison, städtischer Verwaltung oder in Kultstätten zu betätigen. Dadurch erweiterte sich nicht nur das individuelle Spektrum an Aufstiegschancen, sondern auch das Potential, das eigene Gemeinwesen baulich oder anderweitig mitzuprägen.

Anhand der Wohnsituationen lässt sich die soziale Gliederung der römischen Gesellschaft insbesondere in Städten gut nachvollziehen – nicht zuletzt durch das Studium der schriftlichen Überlieferung. Ein typisches römisches Stadtviertel, eine von sich rechtwinklig kreuzenden Straßen begrenzte insula, kann hinsichtlich der Bevölkerungszusammensetzung folgendermaßen differenziert werden:

Die meisten Wohngebäude befanden sich im Besitz von Angehörigen des Senatorenstandes, die den Wohnraum vermieteten oder als patronus in sonstigen Fragen fungierten. Sie selbst allerdings wohnten nicht hier, sondern üblicherweise in reich ausgestatteten, weitläufigen Villen auf dem Land oder allenfalls im suburbium, wie die eher ländlich geprägten Viertel unmittelbar außerhalb der Stadtmauern genannt werden.


Martial, Epigramme 12,57lateinisch, englisch, deutsch

Plinius der Jüngere, Briefe 9,36lateinisch und deutsch

Auch Angehörige des Ritterstandes verfügten über städtischen Grundbesitz, doch sie lebten auch mitsamt ihrer Verwandtschaft und zugehörigen Sklaven in diesen in Eigenbesitz befindlichen Häusern. Die selten mehr als ein Obergeschoß aufweisenden und auf einen oder mehrere Innenhöfe ausgerichteten domus oder vergleichbare Wohnformen nahmen in vielen Städten einen Großteil der bebauten Fläche ein.


Cicero, Für Caelius 17-18englisch

Vitruv, Über Architektur 6,5,1englisch

Juvenal, Satiren 1,94-116: lateinisch, englisch

In den selten archäologisch fassbaren mehrstöckigen Wohngebäuden, welche häufig ebenfalls als insulae bezeichnet werden, zeugte eine Wohnung im ersten Obergeschoss mit mehreren Zimmern von einem gewissen Wohlstand. Solch ein cenaculum wurde von Angehörigen der lokalen Eliten, aber auch reichen Freigelassenen, die sich (noch) keine domus leisten konnten, als Unterkunft bevorzugt.


Livius 39,14,2-3deutschenglisch und lateinisch

Seneca der Jüngere, Briefe 56,1-5lateinisch und deutsch

Ulpian, Digesten 9,3,5,1lateinisch, englisch

Einfache Wohnungen noch oberhalb der cenacula oder zu ebener Erde rückwärtig in bzw. hinter Ladengeschäften gelegene Zimmer boten der plebs urbana oder weniger begüterten Freigelassenen Wohnraum. Solche cellae standen oft im unmittelbaren Zusammenhang mit der gewerblichen Tätigkeit jener städtischen Unterschichten und konnten mitunter auch nur provisorisch als Zwischengeschoß (pergula) über einer Werkstatt eingezogen sein.


Cicero, Reden gegen Catilina 4,17lateinisch und deutsch

Horaz, Satiren 1,6,110-128deutsch,  lateinisch

Martial, Epigramme 12,32lateinisch,  englisch

Die ärmsten Bewohner der Stadt besaßen – gehörten sie nicht der familia eines Angehörigen der Oberschicht an – keine regulären Schlafplätze. Kamen sie nicht in Herbergen (hospitium oder caupona) unter oder waren sie nicht in hölzernen Verschlägen (sub tegulis), also unmittelbar unter dem Dach einer insula untergebracht, nutzten sie den öffentlichen Raum: Sie nahmen Brücken, Treppenabsätze oder Türschwellen allabendlich als Wohnfläche in Beschlag. Auch Thermen und andere öffentliche Bauten mögen sie zeitweise genutzt haben.


Columella, Über Landwirtschaft 1,5,7englisch und lateinisch

Martial, Epigramme 8,14,5-6lateinischenglisch

Sueton, Leben der Grammatiker 9lateinisch

Lies dir die oben stehenden Quellen durch. Was erzählen dir Martial, Vitruv, Sueton und die anderen über das Leben in der römischen Stadt?


Versuche nun, die Fragen im Quiz zu beantworten…

Bildnachweise:
Titelbild:1. Pompejanisches Fresko mit Familienfeierszene, unter: Wikimedia
weiteres Bildmaterial: 2. Pompejanisches Fresko mit Feierszene, unter Wikimedia; Insula, Fotograf: Pepo Segura, unter: Flickr; Bücher, Fotograf:congerdesign, unter: Pixnio; Rekonstruktion einer antiken Insula, unter: Wikimedia